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Kann der Mittelstand überleben?

Standpunkt: Der Ökonom Heinz-J. Bontrup über die Nachfragemacht großer Unternehmen und die Folgen für den Mittelstand

VDI nachrichten, Gelsenkirchen, 16. 9. 05 - Um die Position mittelständischer Zulieferer gegenüber Großunternehmen zu stärken, müsse die Wettbewerbspolitik verschärft werden, fordert der Ökonom Heinz-J. Bontrup, Autor des folgenden Artikels. Unternehmen mit einem Marktanteil von mehr als 5 % an den Beschaffungs- und Absatzmärkten sollten demnach schon als marktbeherrschend gelten. Derzeit liegt diese Schwelle bei einem Drittel.

Marktmächtige Nachfrager üben in vielen Branchen der Industrie (Kraftfahrzeugbau, Chemie- und Elektroindustrie, Energiewirtschaft u. a.) mit ihrem großbetrieblichen, zentralisierten Einkauf einen enormen Druck auf die Einkaufskonditionen (Preise, Mengen, Qualitäten) aus. Dadurch werden nicht selten den mittelständischen Zulieferern jegliche Gewinnchancen ihrer hochwertigen und innovativen Arbeit genommen oder es werden von den marktmächtigen Nachfragern Konditionen verlangt, die bei den Zulieferern nicht einmal die Kosten decken.

Abhängige mittelständische Zulieferer werden vor die Wahl gestellt, entweder auf sämtliche Forderungen des Nachfragers einzugehen oder die Geschäftsbeziehungen ganz abzubrechen. In beiden Fällen ist der Zulieferer der Verlierer. Aber insgesamt verliert auch der für eine Marktwirtschaft konstituierende Wettbewerbsprozess. An die Stelle eines Leistungswettbewerbs tritt Ausbeutung, in dem sich nicht die bessere Leistung, sondern die größere Macht und Rücksichtslosigkeit durchsetzen.

Nachfragemacht zeigt sich dabei nicht nur bei den zum Vorteil der mächtigen Nachfrager erzwungenen Einkaufskonditionen, sondern auch durch die Überwachung der Zulieferer in Form von Auditierungen bei technischen, organisatorischen und unternehmenskulturellen Belangen.

Darüber hinaus müssen den Nachfragern oft die Bilanzen und Preiskalkulationen der Zulieferer offen gelegt werden. Derartige Geschäftsgebaren haben mit den Grundsätzen einer marktwirtschaftlichen Ordnung nichts zu tun, und trotzdem finden sie täglich im Austauschprozess zwischen Industrieunternehmen statt - übrigens auch zwischen Handels- und Industrieunternehmen, hier meistens zu Lasten der Industrie.

Nachfragemacht von Unternehmen hat viele Ursachen. Betriebswirtschaftlich gesehen sind industrielle Hersteller in der Regel auf wenige Produkte spezialisiert, wodurch die Abnehmer Angriffsflächen haben. Fällt beim Zulieferer ein großer Nachfrager aus, so ist es schwer, kurz- oder mittelfristig Ersatz zu finden.

Der Nachfrageausfall schmerzt besonders dann, wenn es sich beim Zulieferer um ein anlage- und damit fixkostenintensives Unternehmen handelt. Hier kommt es durch die entstehenden Leerkapazitäten zu einem starken Anstieg der Stückkosten, die, da sie in der Regel nicht anderen Kunden im Zuge einer internen Quersubventionierung durch Preiserhöhungen aufgebürdet werden können, die Zulieferer in arge Bedrängnis bringen. Marktstarke Nachfrager wissen dies und drücken die Anbieter auf deren kurzfristige Preisuntergrenze, so dass es nur zu einer Deckung der variablen Kosten kommt. Werden vielleicht zusätzlich noch anteilige Fixkosten durch die Preise gedeckt, so belassen die marktmächtigen Nachfrager den Zulieferern wenigstens noch relative Gewinne, absolut entstehen natürlich Verluste, wobei kein Unternehmen langfristig überleben kann.

Dieser Effekt verstärkt sich bei einer gesamtwirtschaftlichen Wachstumsschwäche mit deflatorischer Tendenz, wie sie derzeit weitgehend vorliegt, oder auch im Fall einer produktbezogenen Stagnations- oder Rückbildungsphase eines Marktes, der zu Überkapazitäten führt, bei denen die Käufer am längeren Hebel sitzen.

Es gibt aber noch andere als rein betriebswirtschaftliche Ursachen für das Problem der Nachfragemacht. Dazu gehört auch ein wettbewerbsimmanenter Konzentrationsprozess. Durch ein internes Größenwachstum der Unternehmen in Anbetracht einer gewinngetriebenen Kapitalakkumulation oder durch das krisenbedingte Marktausscheiden von Unternehmen, die an der Grenze zur Rentabilität arbeiten, ist es auf vielen Märkten zu oligopolistischen Marktmachtstrukturen gekommen. Außerdem ist heute der freie Marktzugang durch hohe Markteintrittskosten-barrieren konkurrenzfähiger Neuanlagen in der Regel beschränkt.

Aber auch die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung, die durch eine Marktsättigung und abnehmende Wachstumsraten gekennzeichnet ist, hat zu einer forcierten Nachfragemacht von Unternehmen beigetragen. Angeheizt wurde dies noch durch eine seit vielen Jahren betriebene einseitige angebotsorientierte, unternehmensbezogene Wirtschaftspolitik, die letztlich zu immer mehr Nachfrageausfall an den Inlandsmärkten geführt hat. Hiervon sind insbesondere die mittelständischen Unternehmen betroffen, wie die Deutsche Bundesbank feststellt.

Großunternehmen und Konzerne, die den Nachfrageausfall auch an ihren Absatzmärkten durch Gewinnrückgänge zu spüren bekommen, setzen zur Kompensation auf zwei wesentliche Strategien: Auf Senkung der Lohnkosten und Personalabbau sowie auf eine forcierte Anwendung von Nachfragemacht an den Beschaffungsmärkten. Absatz- und Gewinneinbrüche sollen hier durch Druck auf die Einkaufskonditionen ausgeglichen werden.

Die mittelständischen Zulieferer zahlen dafür die Rechnung. Es kommt zu enormen Gewinnumverteilungen zu Gunsten der nachfragemächtigen Unternehmen, so dass den mittelständischen Zulieferern die Möglichkeiten für Investitionen und Innovationen genommen werden. Da die Zulieferer außerdem an ihren Beschaffungsmärkten in der Regel nicht über Nachfragemacht verfügen, bleibt ihnen nur noch, den Preis- und Kostendruck auf die Beschäftigten zu verlagern. Dadurch kommt es zu verschlechterten Arbeitsbedingungen, wie längeren Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich und zu Lohnkürzungen sowie nicht selten zu Entlassungen.

Die Eindämmung von Nachfragemacht muss an den Ursachen ansetzen. In erster Linie entsteht sie aus wettbewerbsimmanenten Konzentrationsprozessen. Je mehr Angebotsmacht zugelassen wird, um so mehr wird auch die Anwendung von Nachfragemacht möglich. Daher muss eine konsequente staatliche Wettbewerbs- und Regulierungspolitik für Abhilfe sorgen. Dies kann nur über eine vorbeugende Fusionskontrolle geschehen.

Der heute bestehende Rechtsrahmen im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) reicht dazu allerdings nicht aus. Die im § 19 GWB definierte marktbeherrschende Stellung, die sowohl für Anbieter an den Absatzmärkten als auch für Nachfrager an den Beschaffungsmärkten gilt, muss wesentlich verschärft werden. Der Marktanteil eines Unternehmens, bei dem die Kartellbehörden eingreifen müssen, dürfte demnach nicht bei einem Drittel, sondern bei maximal 5 % liegen. Ein Unternehmen mit mehr als 5 % Marktanteil auf seinen Absatz- oder Beschaffungsmärkten würde demnach als marktbeherrschend eingestuft. Diese Beschränkung muss auch für ausländische Unternehmen gelten, die auf dem deutschen Markt tätig sind. Damit lässt sich verhindern, dass ausländische Unternehmen auf Inlandsmärkten gegenüber deutschen Unternehmen einen Vorteil gewinnen.

Da es heute viele Unternehmen gibt, die bereits über einen wesentlich höheren Marktanteil verfügen, käme entweder eine eigentümerbezogene (materielle) Entflechtung oder, sollte dies rechtlich und ökonomisch nicht umsetzbar sein, eine konsequente staatliche Preis- und Renditekontrolle in Frage. Hierzu müssten die marktbeherrschenden Unternehmen dem Bundeskartellamt auf Basis der Daten des internen Rechnungswesens ihre Preiskalkulationen sowie die an den Beschaffungsmärkten verlangten Einkaufskonditionen offen legen.

Auch müsste es Zulieferern möglich sein, eine Anzeige wegen Nachfragemachtausübung beim Bundeskartellamt anonym einreichen zu können. Viele Zulieferer scheuen die offene Anzeige, weil sie wegen ihrer Abhängigkeit von marktstarken Nachfragern Repressalien befürchten. Und endlich müssen in Anbetracht der enormen volkswirtschaftlichen Schäden durch Marktmachtmissbrauch, anders als heute im GWB, diese nicht nur als Ordnungswidrigkeit, sondern, wie in den USA, als strafbare Handlung geahndet werden. HEINZ-J. BONTRUP

Prof. Dr. Heinz-J. Bontrup

lehrt Wirtschaftswissenschaft mit dem Schwerpunkt Arbeitsökonomie an der FH Gelsenkirchen. Vor seiner Berufung zum Hochschullehrer war er unter anderem Arbeitsdirektor in der Stahlindustrie. has

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