Der Sueden des Nordens

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DIE ZEIT - Der Süden des Nordens

DIE ZEIT


34/2004

Der Süden des Nordens

Norwegens Sørlandet träumt davon, die Riviera zu werden. Yachten, Buchten und Ferienhäuser gibt es reichlich

Von Simone Kaempf

Asbjørn Andersen, der Gastwirt, trägt eine geschnürte Kniebundhose, Lederweste, Rüschenhemd und Dreispitz. Es ist Sonntag, und immer sonntags empfängt er seine Gäste in der Festtagskluft eines norwegischen Seefahrers. Die traditionelle Lotsenuniform ist Andersens Dienstkleidung bei seinen Führungen durch das südnorwegische Dorf Lyngør. Die winzige, autofreie Ortschaft verteilt sich auf vier winzige Inseln vor der Ostküste Sørlandets. Vieles in dieser Region, die sich über 180 Kilometer bis nach Kristiansand an den südlichsten Zipfel Norwegens erstreckt, ist beim Alten geblieben, aber in Lyngør zeigt sich die Vergangenheit am schönsten. Man braucht nur die alten Fotografien im kleinen Inselmuseum mit dem Blick aus dem Fenster zu vergleichen, um zu sehen, dass sich in den letzten 130 Jahren die weißen Holzhaussiedlungen nicht sonderlich verändert haben. Im glasklaren nordischen Licht strahlt eine gepflegte Oase ohne jeglichen Verfall. Die Lage am Skagerrak bietet Schutz vor den eisigen Nordmeerwinden, die Durchschnittstemperatur beträgt im Hochsommer stolze 24 Grad, und deshalb hat sich diese Ecke auch das Etikett »Der Süden des Nordens« verpasst.

»Den Sommer wil ich an keinem anderen Platz der Welt verbringen«

Dass hierher weder Hotelburgen noch Feriendörfer passen, hat Asbjørn Andersen früh erkannt. Der 59-Jährige ist Gastwirt mit Leib und Seele und ein Mann mit Spürnase. Er setzte auf die Vergangenheit und schuf 1989 in der gesamten zweiten Etage seines Restaurants Den Blå Lanterne Platz für das Inselmuseum. Zwei Jahre später zeichnete die EU Lyngør als »Europas bestbewahrtes Dorf« aus. Mitterweile spazieren 5000 Besucher jährlich auf Romantiktour über die verwinkelte Hauptinsel. Vor allem aber hat sich durch die Auszeichnung unter den Inselbewohnern wieder Optimismus breit gemacht. Denn die Aussichten für die Zukunft sahen lange ziemlich düster aus. Statt mehr Touristen war dem Dorf lange Zeit der Tod durch Aussterben prophezeit worden.

Seit den sechziger Jahren macht die schrumpfende Bevölkerungszahl zu schaffen. »Jeder neue Eigentümer muss vor Abschluss des Kaufvertrags garantieren, dass er seinen Wohnsitz hierher verlegt«, erzählt Andersen. Aber solche Selbstverpflichtungen konnten nicht verhindern, dass Grund an wohlhabende Städter verkauft wurde, die nur für ein paar Ferientage kommen. Der Verfall der Dorfgemeinschaft war nicht mehr aufzuhalten, als immer mehr junge Leute aufs Festland zogen. Als Erstes schloss die Schlachterei, dann folgten weitere Läden, irgendwann auch der Gemeinderaum, seit fünf Jahren müssen die 17 Schulkinder zum Unterricht aufs Festland pendeln. Im Winter bleiben gerade noch 30 der 300 Häuser bewohnt. Doch damit lässt sich ganz gut leben, weil die restlichen 90 Prozent der Bewohner im Frühsommer zurückkehren. Allen voran Asbjørn Andersen, der im September das Haus im winterfesten Zustand hinterlässt und im Mai wieder anreist. Vor zehn Jahren trieb ihn sein Asthma nach Alicante. Dort fand er seine spanische Frau – und die spanischen Kellnerinnen, die jetzt jede Sommersaison in der Blå Lanterne die hausgemachte Fischsuppe im gusseisernen Topf für satte 36 Euro servieren.

»Den Sommer will ich an keinem anderen Platz der Welt verbringen«, sagt Andersen. Wie er denken viele Norweger und vor allem Osloer, die auch außerhalb der Ferienzeit ihre Wochenenden drei bis vier Autostunden von der Hauptstadt entfernt an der Küste Sørlandets, des Südlands, verbringen. Halbinseln, Buchten, Sandstrände recken sich hier ins Meer – und unendlich viele blank gewaschene Schärengruppen, die aus der Flugzeugperspektive wie Kieselsteine in einem seichten Teich wirken. Vom schaukelnden Ausflugsboot aus verliert man im Gewirr der Wasserstraßen und Inseln den Überblick: Nördlich von Kristiansand kontrastieren felsige Minischären mit solchen, auf denen grüner Rasen vor weißen Holzhäusern wächst, immer neue Varianten quadratischer Sommerhäuser tauchen auf, Kinder spielen im Garten, die Motorboote liegen vertäut an den Anlegestellen.

Die Südnorweger behaupten gern, dass es bei ihnen mehr Boote als an der Côte d’Azur gebe, und darum träumen manche davon, Sørlandet zu einer Riviera mit internationalem Flair zu pushen. Tvedestrand hat einen Golfplatz, Wasserski gibt es fast überall zu leihen, und im Leuchtturm von Stangholmen hat die Løkta-Bar bis 21 Uhr geöffnet. Erfahrungsgemäß können sich die von Sonne, Salz, Wind und einem alkoholischen Absacker mitgenommenen Besucher schon vorher vor Müdigkeit kaum noch auf den Beinen halten. Als einziges größeres Hotel liegt das Resort Lyngørporten direkt am Festland in Sichtweite zu Lyngør. Die kleine Wasserstadt auf künstlichem Grund passt sich unauffällig in die Landschaft ein. Holzbrücken verbinden die 20 bunten Hütten, auf den Kanälen kann man mit dem Motorboot direkt bis vor die Zimmertür schippern, und beim Aufwachen hört man als Erstes das Plätschern, des Wassers, das unermüdlich gegen dicke Holzpoller schlägt. Vor allem Angler stiegen bislang im Lyngørporten ab, denn Dorsch, Seelachs, Makrelen, Steinbutt sind mit bloßem Auge im Wasser zu entdecken. Die dicksten Brocken kann man bei minus 35 Grad bis zur Heimfahrt im Tiefkühlhaus lagern. Doch die niederländischen oder deutschen Angler kommen nicht mehr in Schwärmen. Deshalb versucht das Resort jetzt, mit Seminaren und Konferenzen mehr Kapital aus der Nähe zu den Osloer Firmensitzen zu schlagen.

Brekkestø ist beliebt und teuer – ein Name, vergleichbar mit Sylt

Fisch spielte ohnehin nie die wichtigste Rolle in Sørlandet. Die Region hatte sich über anderthalb Jahrhunderte nur mit dem einen Ziel entwickelt: Holz zu verschiffen. Die regionalen Holzhändler und die Schiffsreeder verdienten dank der riesigen Eichenwaldbestände im Hinterland so viel Geld, dass sie es sich leisten konnten, die teure weiße der billigen roten Holz- und Brandschutzfarbe vorzuziehen. Der soziale Aufstieg las sich an den Fassaden ab, die an den Giebeln mit Schnitzereien, zierlich wie Spitzendecken, geschmückt wurden. Kein Städtchen ohne weiße Holzfassaden, doch die Wälder sind längst bis auf einen Minimalbestand ausgeschlagen. Die Werften, die Fischhandelsbörsen und schließlich auch die Chipfabriken in der fünftgrößten norwegischen Industrie- und Hafenstadt Kristiansand schlossen die Lücke in der Nachkriegszeit nur unzureichend. Erst durch den Tourismus gewann die Region dank ihres Markenzeichens, der weißen Holzhäuser, an Profil zurück.

»Lillesand soll weiß bleiben«, protestierte deshalb auch die Mehrheit der 8000-Einwohner-Stadt erfolgreich gegen die Pläne, das Schifffahrtsmuseum in Beige zu tünchen. Doch das genügt Arne Tavanger, dessen Hotel Norge mit der wohl schönsten Holzhausfassade der Region viele Schaulustige anzieht, noch nicht. »Das Potenzial wird nicht entschieden genug ausgeschöpft«, sagt er. Sein Haus hält er geschickt auf einer Linie zwischen klarem nordischem Design und der bürgerlichen Gemütlichkeit aus der Zeit, als Knut Hamsun oder der spanische König Alfonso XIII. als Dauergäste in das gediegene Kaminzimmer einkehrten. Tavanger schielt auch nach Touristen, die auf ihrem Weg in den Norden einen Zwischenstopp einlegen. Er ist sicher, dass noch viel mehr anhielten, wenn es um den Willen zur Dienstleistung nicht so schlecht stünde. Seufzend fügt er ein Beispiel an: Einmal ankerte ein Kreuzfahrtschiff am Leuchtturm vor Lillesand; die kaufkräftigen Kreuzfahrttouristen setzten in den Beibooten über. Doch was machten die Inhaber der Souvenirgeschäfte am Hafen? Verschlossen die Türen, um sich selbst endlich einen Luxusliner von innen anzuschauen.

Andere halten dieses Laisser-faire für die große Stärke der Region. »Südnorwegen ist ein Land des Schauens«, sagt der Engländer John Dobey, der vor vielen Jahren auf einer Ölplattform anheuerte und sich dann mit seiner norwegischen Frau auf der Halbinsel Brekkestø niederließ. Zu sehen gibt es, wenn man am Bootssteg hängen bleibt, zum Beispiel den Segelmacher, der auf dem Vordeck einer Yacht fachgerecht zwei Seile spleißt, oder eine wie goldgelber Honig strahlende Mahagoniyacht, die gerade einläuft, oder zwei Mädchen, die wie zum Beweis dafür, dass Bootsfahren kinderleicht ist, in einer eleganten Kurve den Steg ansteuern, ein Eis am Stiel kaufen und mit wehendem Haar wieder davonbrausen.

Brekkestø ist die beliebteste und teuerste Sommerhausgegend der Osloer. Ein Name, vergleichbar mit Sylt. In den Gärten liegen Swimmingpools, in den Bootshäusern stehen die schönsten Yachten. Doch Infrastrukturprobleme machen John Dobey das Leben schwer. »Wir sitzen schon lange in den Startlöchern, um unser Hotel zu erweitern«, erklärt er, aber weil der Ausbau des Abwassersystems Jahr für Jahr verschoben werde, lasse auch die Baugenehmigung auf sich warten. Also bleibt das Hotel weiter klein. Und privat. John Dobey lädt seine Gäste spontan auf eine Spritzfahrt durch die Schären ein, und seine Frau Elisabeth backt für sie einen Apfelkuchen, dessen zimtiger Duft schon auf der Terrasse in die Nase steigt. Mit dem Riviera-Flair wird es so schnell wohl nichts werden.

Information:

Anreise: Vom dänischen Hirtshals geht im Sommer vier- bis fünfmal täglich eine Autofähre nach Kristiansand und ein- bis zweimal täglich vom dänischen Frederikshavn nach Larvik. Die einfache Fahrt kostet pro Person ohne Kabine zwischen 32 und 58 Euro plus 39 bis 81 Euro für den Pkw. Auskunft: www.colorline.de. SAS fliegt zum Beispiel ab 339 Euro von Hamburg via Oslo nach Kristiansand

Unterkunft: Brekkekjær Pensjonat (Tel. 0047-37275220, www.brekkekjaer-pensjonat.no), Doppelzimmer ab 94 Euro;

Hotel Norge in Lillesand (Tel. 0047-37270144 www.hotelnorge.no), Doppelzimmer im Sommer ab 165 Euro;

Resort Lyngørporten in Gjeving (Tel. 0047-37198000, www.lyngoerporten.com), Studio ab 107 Euro (Sommertarif), Wohnung für zwei Personen ab 148 Euro;

Dansommer (Tel. 0800-5600927, www.dansommer.de) vermietet Ferienhäuser in der Region, eine Woche ab 655 Euro

Auskunft: Sørlandreiser AS, Vestre Strandgate32, N-4612 Kristiansand, Tel. 0047-38121314, www.visitsorlandet.com, Norwegisches Fremdenverkehrsamt, Neuer Wall 41, 20354 Hamburg, Tel. 0180/5001548, www.visitnorway.com


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